Urlaub in Georgien. Die Lust auf mehr!
Eintauchen in eine andere Welt – ein paar Tage in Georgien.
Mitten in der Nacht in Telavi angekommen. Der erste Blick im Hellen ist erschreckend. Kein Strommast steht gerade. Wilde angeflanschte Kabel führen über abenteuerliche Wege zu den Häusern. Straßen mit tiefen Schlaglöchern. Bürgersteige, soweit vorhanden, fortdauernde Stolperfallen. Neubauten schon vor der Fertigstellung defekt. Treppenstufen ohne Maß. Kein Verhältnis zum Müll. Aber die Herberge sauber, mit kleinem Garten und wirklich freundlichen Besitzern. Reichhaltiges, wechselndes Frühstück. Ebenso das Abendessen mit einem hervorragenden Wein.
Langsam verliert sich der vergleichende Blick mit unserer gewohnten Umgebung zu Hause. Neben dem Kontakt zu unseren Herbergseltern lernen wir weitere Menschen kennen. Überall begegnen wir Menschen, die uns das Gefühl vermitteln, wir seien ihnen wichtig. Keine Anmache, kein Betrug. Niemand stellt sich in den Weg und will Gürtel verkaufen, in ein Restaurant lotsen oder einen Nightclub anpreisen. Wir fangen an genauer zuzuhören und begreifen dass hier, 7 Jahre nach dem Krieg gegen Russland, die Aufbauarbeit stattfindet. Dass nach jahrzehntelanger Unterdrückung die kulturelle und politische Identität einen wichtigen Stellenwert hat.
Georgien ist überwiegend griechisch-orthodox. Überall werden zerstörte religiöse Bauten wieder restauriert. Scheinbar ohne Konflikte mit ethnischen Minderheiten. In einer Moschee wird die Toleranz gelobt, die in Georgien herrsche. Auch in einer Synagoge bekommen wir erzählt, die Auswanderung von Juden in den letzten Jahren habe andere Gründe.
Auf den Märkten ein reichhaltiges Angebot an frischer Ware. Aber erstaunlich, obwohl wir in einer Weingegend sind, ist kein Wein zu sehen.
In Telavi besuchen wir das Partnerschaftsprojekt der Integrativen Schule Frankfurt. Wir finden freundliche Aufnahme, bekommen alles gezeigt und einen Einblick in Probleme der georgischen Schulvorschriften wie der Finanzierung dieses Projekts. Als wirtschaftliches Standbein wird eine Käserei aufgebaut und wir hören von infrastrukturellen Problemen, die für uns schwer nachvollziehbar sind. Es dauert schon eine Weile, in eine andere Welt einzutauchen, zu schauen, begreifen und nicht einfach nur mit unserer Welt zu vergleichen.
Ein paar Tage später werden wir zu unserer nächsten Station an den Rand des Vashlavani-Nationalparks gefahren. Rand bedeutet, noch 50 km über Feldwege an riesen Feldern vorbei die in eine mongolische Steppe übergehen. Schließlich öffnet sich eine riesige Landschaft mit erodiertem Schwemmland. Sie erinnert an die Badlands in South Dakota und, wie sich herausstellt, besteht auch eine Partnerschaft mit dem dortigen Nationalpark. Unsere Führer vor Ort sind hoch kompetent. Sie erklären begeistert Naturzusammenhänge und weisen auf die geologischen, botanischen und biologischen Besonderheiten hin. Wir entdecken frischen Bärenkot und wir folgen ein Stückweit der frischen Bärenspur im Sandbett eines ausgetrockneten Flusses.
Unsere Herberge ist ein frisch renoviertes Gäste- und Studienhaus einer Tibliser Universität in Dedoplistskaro. Wir fahren ein paar Kilometer durch unwegsames Gelände und bekommen eine Fasanenzucht gezeigt. Sie ist symptomatisch für eine Reihe weiterer Projekte. Da die Finanzierung von Projekten immer ein Enddatum hat, dient die Fasanenzucht einmal dazu, durch frühere Bejagung dezimierte Fasanenbestände im Nationalpark genetisch identisch anzureichen; zugleich durch Verkauf Gelegenheit zu Hybridzüchtungen zu geben damit Jäger ihrem Hobby nachgehen können. Am nächsten Morgen geht es wieder auf abenteuerlichem Weg zu einer Klosterfestungsruine. Unser Führer baut ein Fernrohr auf, justiert es und bittet uns durchzugucken. Wie zu einem Termin einbestellt posiert ein Gänsegeier auf einem Felsen. Er wechselt mal das Profil, wartet aber bis alle ihn beobachtet haben. Erst dann breitet er seine Flügel aus und gleitet mit 2,6m Spannweite ins Tal auf der Suche nach Aas.
Vor Tiflis wollen wir noch ein Höhlenkloster besuchen. Wir verlassen die Nationalstraße. Die Nebenstraße ist in erstaunlich gutem Zustand und scheint kein Ziel zu haben. Eine halbe Stunde fahren wir durch beeindruckende Leere. Eigentlich sind wir in einer Halbwüste. Hinter einer Hügelkette taucht plötzlich eine Siedlung in der weitläufigen Talsenke auf. Beim Durchfahren sehen wir, dass viele der quadratischen Betonhäuser leer stehen. Rostendes landwirtschaftliches Gerät liegt herum. Udabno ist die einzige Ansiedlung zwischen dem Abzweig von der kachetischen Hauptstraße in Richtung Süden.
Noch eine halbe Stunde kurvenreicher Strecke, dann halten wir vor einem gezackten Bergkamm. Durch ein Torhaus betreten wir das Kloster. Gegenüber dem gemauerten Gebäude sind in eine schräg liegende Felsplatte Höhlen eingehauen, von denen seit Mitte der 1990er Jahre einige wieder bewohnt sind. Das neu erwachte Kloster ist Hort der ultrakonservativen Orthodoxen Georgiens, die sogar den Patriarchen des Landes zum Austritt aus dem Weltkirchenrat zwingen konnten. Trotzdem sind Satellitenschüsseln und sogar eine Solarzellenanlage zu sehen und ein kilometerlanger offener Graben zeigt, dass gerade die Strom- und Wasserversorgung gelegt wird.
Tiflis ist ein Moloch. Wahnsinniger Verkehr. Nur Ampeln werden beachtet. Der Herbstwind bläst, so dass der Dieselgeruch erträglich bleibt. In der Kernstadt sind Menschenmassen unterwegs. Futuristische neue (ministrale) Gebäude erinnern an Berlin. Die Altstadt wird wieder hergerichtet, unter anderem Kanäle verlegt. Davon abseits marode Gebäude, dazwischen ein riesiger Markt mit allem was das einfache Herz begehrt. In der Kernstadt Geschäfte wo einem vom Preisniveau das Herz stehen bleibt.
Nachts um 3.00 Uhr ist Aufstehen angesagt. Noch keine Lust, aber der Flieger ist gebucht. Wir haben viel gesehen und erlebt. Die Gruppe war hervorragend. Die Erlebnisse sind neu und noch nicht verarbeitet. Zwei Wochen später sind Wahlen in Georgien. Von politischen Auseinandersetzungen haben wir nur wenig mitbekommen. Nur, dass ein neuer Präsident kommen muss.
Es bleibt viel Lust, die politischen-, gesetzlichen- und Arbeitsverhältnisse kennenzulernen. Und da ist noch der Kaukasus mit seinen Schneebergen. Und am Meer waren wir auch nicht.
Günter Ciesla