Eine Veranstaltung zur Verkehrswende
Am 3. April trafen sich 32 NaturFreunde und -Freundinnen im gelüfteten, luftgefilterten und lärmsanierten Naturfreundehaus am Poloplatz.
Heidi Ziehaus moderierte die Veranstaltung und erinnerte an die Unterschriftensammlung zum Verkehrswende-Volksbegehren, die in der ersten Stufe noch bis Ende Juni läuft. Ziel ist es, die geforderten ca. 45.000 Unterschriften (1 % der wahlberechtigten Hessinnen und Hessen) weit zu übertreffen. Dies würde einen politischen Druck bewirken, durch den evtl. die weiteren Stufen (Unterschriften von 5% der Wahlberechtigten in Listen bei den Kommunen) entfallen könnten, und somit viel Zeit- und finanzieller Aufwand.
Also: sammelt, Leute, sammelt!
www.verkehrswende-hessen.de www.buendnis-verkehrswende-frankfurt.de
Klaus Gietinger, Sozial- und Verkehrswissenschaftler und Mitglied in der "Initiative Frankfurt 22", stellte das absurdeste Bahn-Projekt seit Stuttgart 21 vor, nämlich den geplanten Umbau des Frankfurter Hauptbahnhofs zu einem Durchgangsbahnhof für Fernzüge, verbunden mit einer 10 km langen Untertunnelung Frankfurts von West nach Ost, größtenteils unter dem Main verlaufend.
Im Jahr 2003, so Gietinger, gab es ein Bauprojekt namens Rhein-Main-Plus, das bis 2015 hätte fertig werden sollen. Es sah diverse oberirdische Ausbaumaßnahmen vor, die dazu geführt hätten, dass Fernzüge kreuzungsfrei in den Frankfurter Hauptbahnhof hätten einfahren können. Das Projekt hätte einen Kapazitätsgewinn von 41 % erbracht und war mit 70 Millionen Baukosten kalkuliert.
Inzwischen wurde diese Planung großteils eingestampft, und der Tunnel, der noch im Jahr 2020 6,5 km lang werden sollte, wuchs in den Fantasien der Planer 2021 bereits auf 10 km an und neuerdings werden Forderungen nach Viergleisigkeit geäußert. Trotz dieser Zusatzplanungen ist immer „nur“ von 3,5 Mrd Euro die Rede, wobei man von Stuttgart 21 weiß, dass solche Zahlen angesichts einer Planungs- und Bauzeit von mindestens 25 Jahren bereits jetzt Makulatur sind. Mindestens 77mal teurer als die ursprüngliche oberirdische Planung sowie eine mindestens dreimal so lange Bauzeit und ein wesentlich geringerer Kapazitätsgewinn von nur 20% erzeugen bei den Zuhörer:innen Empörung.
Doch damit noch nicht genug: Was ist mit CO2? Durch den kalkulierten Ersatz von Autoverkehr kommt es laut DB zu CO2-Ersparnis. Aber Beton- und Stahlkonstruktion belasten das Klima mit großen Mengen von Kohlendioxid, die durch die Einsparung aufgrund vergrößerter Kapazität erst 2060 (!) kompensiert wären. Wie war das doch gleich: Bis wann sollen die Klimaziele erreicht sein?
Der Tunnel soll 6 - 8 Minuten Zeitersparnis bei den Fahrzeiten bringen. Wow!
Dagegen stellte der Referent 3 - 5 Minuten Zeitverlust durch das Hinabsteigen /-fahren auf (Roll-)Treppen in den Tunnel.
Die Tunneleinfahrt muss wegen der zu erreichenden Tunneltiefe von 30 Metern sehr lang sein, so dass Züge, die über die Main-Weser-Bahn oder aus Darmstadt kommen, die Kurve nicht kriegen und doch in den restlichen Kopfbahnhof einfahren müssen.
Züge, die durch den Tunnel fahren, sparen gegenüber der herkömmlichen Strecke ca. 2.500 - 3.000 Meter. Eine Strecke, die ein Zug in 2 Minuten zurücklegen kann - kann man da wirklich von "Zeitgewinn" reden?
Gar nicht zu reden vom Feinstaub durch Abbremsen beim Hinabfahren und vom Energieaufwand beim Hinausfahren aus den 30 Tiefenmetern.
Fazit:
- Die Bahn ist nicht per se klimafreundlich. Sie wird es durch schonende oberirdische Baumaßnahmen, die Strecken ergänzen, verbinden, kreuzungsfrei machen. Sie wird es durch Wiederbelebung von Verbindungen in der Fläche. Und konsequenter Elektirfizierung.
- Die Forderung "Güter gehören auf die Bahn" muss kritischer beleuchtet werden. Das Bahnnetz ist in naher Zukunft nicht so ausbaubar, dass man die LKWs von den Straßen holen könnte. Stattdessen sind weite Transportwege innerhalb Europas zu überdenken. Regional produzieren und einkaufen ist das Gebot der Stunde.
- Nicht der Kopfbahnhof ist das Problem, sondern mangelnde Kreuzungsfreiheit und nicht vorhandene Vertaktung der Anschlüsse. Wenige sehr schnell fahrende Züge bremsen langsamer fahrende Züge aus. Stattdessen: Takt geht vor Tempo!
- Eine Großbaustelle in Frankfurt für die nächsten 30 Jahre mit den beschriebenen Kosten und Folgen ist unerträglich, widerspricht den Zielen von Verkehrswende und Klimagerechtigkeit und muss mit allen Mitteln verhindert werden!
www.frankfurt22.de www.gietinger.de (Broschüre "Straßen für alle 2.0)
Leider war die Zeit an diesem Vormittag schon recht weit fortgeschritten und ein Referent erkrankt, so dass Wolf-Rüdiger Hansen vom BUND Kreisverband Frankfurt nur noch grob die Gründe für die Ablehnung der Autobahnverbindung A66 zur A661 einschließlich des ca. 1 km langen Riederwaldtunnels skizzieren konnte.
Der BUND hat durch ein Gutachten, dem bisher nicht widersprochen wurde, feststellen lassen, dass der aktuelle Bundesverkehrswegeplan in Teilen, die allerdings noch je Objekt eingeklagt werden müssten, dem Grundgesetz-Artikel 20 a widerspricht. Dieser Artikel garantiert den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere in Verantwortung vor den zukünftigen Generationen.
Der Riederwaldtunnel ist Relikt einer Regionalplanung aus dem Jahr 1980, die vorsah, eine durchgehende Autobahnverbindung zwischen Wiesbaden und Fulda zu bauen und in deren Rahmen der Alleenring untertunnelt werden sollte. Die Idee einer Autobahn quer durch Frankfurt wurde 2015 beerdigt, stehengeblieben aber ist die o.g. Planung. Die Autobahn A66 Riederwaldtunnel wird eine drastische Verkehrszunahme im Frankfurter Osten verursachen. Laut offizieller Prognose werden 2030 über 80.000 Fahrzeuge mehr als heute die Frankfurter Stadtteile durchqueren. Und sie wird einen artenreichen Auenwald, Teil des Grüngürtels der Stadt Frankfurt zerstören! Die Pläne für die "autogerechte Stadt", die aus der Sicht von Mobilitätswende-Befürworter:innen in das Reich der Dinosaurier gehören, sehen weiterhin Spurerweiterungen auf 6 bis 10 Spuren für die A661, die A5 Richtung Friedberg, die A5 und die A67 Richtung Darmstadt vor, und das, obwohl es in alle Richtungen auch Netz-Erweiterungen für die S-Bahn gibt, für die die Baumaßnahmen teilweise schon begonnen sind.
Hansen fordert, dass alle Planungen unter der Frage stehen müssen: Welche Belastungen muten wir zukünftigen Generationen zu, die durch das, was wir heute tun, entstehen.
Hier fällt mir der alte Spruch ein: "Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geliehen." Ein Slogan aus der Umweltbewegung der 80er Jahre. Wir waren damals davon überzeugt, die Entwicklung in diese Richtung beeinflussen zu können. Neoliberalismus und die damit verbundene alles verschlingende Gier nach Reichtum und Macht haben uns schneller überrollt als wir mitdenken konnten. Lasst es uns gemeinsam mit der jungen Generation noch einmal anpacken!
www.molochautobahn.de https://www.bund.net (zum Downloaden des Rechtsgutachtens) https://bmvi.de (zum Downloaden des Bundesverkehrswegeplans)
Marianne Friemelt